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Interview

Berlin stärkt seine Kultur - Klaus Wowereit im Gespräch mit Causales

Eva Nieuweboer und Hans-Conrad Walter (Agentur Causales) sprachen mit Klaus Wowereit über die Kulturfinanzierung in Berlin

Im September 2006 wurde die rot-rote Landesregierung in Berlin wiedergewählt. Im Zuge der Regierungsbildung wurde die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur neu strukturiert und das Ressort Kultur in die Senatskanzlei ausgegliedert bzw. überführt. Seitdem zeichnet sich der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, verantwortlich für die Kultur. Administrativ wird das Amt durch den ehemaligen Chef der Staatskanzlei, André Schmitz, als Kulturstaatssekretär geführt.

Sehr geehrter Herr Wowereit,

Berlin ist schon lang nicht mehr nur Bundeshauptstadt und Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland. Laut einer Erhebung des Magazins „Focus“ ist Berlin mit ca. 167 Museen, 113 Belletristik- Verlagen, 25 öffentlichen und privaten Theatern sowie sieben Orchestern die Kultur-Hauptstadt Deutschlands. Wird die Stadt Berlin trotz ihres aktuellen Haushaltsnotstandes und den im kulturellen Sektor in Erwägung gezogenen erheblichen Einsparmaßnahmen ihre Vorreiterrolle beibehalten können?

Berlin ist, wie Sie wissen, finanziell nicht auf Rosen gebettet. Wir haben in der Stadt einen Mentalitätswechsel bewirkt – weg von der alten Subventionsmentalität. Aber wir setzen auch klare Schwerpunkte bei den Ausgaben. Vor allem bei Bildung und Kultur. Deshalb hat Berlin trotz schwieriger Rahmenbedingungen seinen Kulturhaushalt 2008/2009 um 25 Millionen Euro erhöht und 2010/11 noch einmal um 16 Millionen Euro. Außerdem investieren wir kräftig in die kulturelle Infrastruktur der Stadt. Für die Sanierung von Museen und Theatern gibt Berlin in den nächsten Jahren über 250 Millionen Euro aus. Da sind Großprojekte wie die Staatsopernsanierung, wo sich der Bund mit 200 Millionen Euro beteiligt, der Berliner Anteil für das Humboldt-Forum (32 Millionen Euro) oder der angestrebte Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld (270 Millionen Euro) noch gar nicht mitgerechnet. Berlin stärkt seine Kultur, auch in der Krise, weil Kultur nicht nur das Image der Stadt weltweit prägt, sondern inzwischen ein echter Standortfaktor geworden ist.

Die Stadt lockt mit ihrem reichhaltigen und facettenreichen kulturellen Angebot Besucher aus aller Welt und konnte 2009 einen Umsatz von 9 Milliarden Euro durch den Kulturtourismus verzeichnen. Im Vergleich dazu liegt der Kulturhaushalt der Stadt bei 370 Millionen Euro. Ein mehr als anschauliches Beispiel dafür, dass sich Investitionen in die Kultur durch die öffentliche Hand rentieren. Könnten Einsparmaßnahmen im Kultursektor zu einem sinkenden Return on Invest für Berlin führen?

Einsparungen im Kultursektor wären in der Tat kontraproduktiv. Deshalb agieren wir hier seit Jahren gegen den Trend in anderen Ländern und Kommunen. Die Berlin Tourismus Marketing GmbH rechnet vor, dass aus dem Berlin- Tourismus ca. 1,8 Milliarden Euro in die Steuerkassen des Bundes und Berlins fließen. Wenn Sie sehen, dass fünf von sieben Gründen für einen Berlin-Besuch kultureller Natur sind, dann entspricht das Steuereinnahmen von über einer Milliarde Euro. Der Bund investiert nach eigenen Angaben jährlich etwa 400 Millionen Euro in die Berliner Kultur. Berlin selbst, mit den Kulturausgaben der Bezirke, etwa 500 Millionen Euro. So gesehen, rechnet sich Kulturförderung in Berlin wirklich. Den Return on Investment gibt es hier tatsächlich.

Laut Kulturfinanzbericht 2008 wies Berlin als Stadtstaat, deren Kultureinrichtungen nicht nur von den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch von zahlreichen Touristen genutzt werden, für 2005 hohe Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur aus, durchschnittlich 146,90 Euro je Einwohner, das sind 2,34 Prozent des Gesamthaushaltes. Sollte sich der Bund angesichts des steigenden Kulturtourismus in Berlin stärker finanziell engagieren?

Das Engagement des Bundes in Berlin geschieht zum einen aus seiner gesamtdeutschen Verantwortung für das besondere historische Erbe der Stadt – von der Preußenzeit, über die Weimarer Republik, die NS-Diktatur und die Zeit der Teilung. Das betrifft nicht nur historische Ensembles wie die Museumsinsel, sondern auch die dichte Gedenkstättenlandschaft mit ihren Erinnerungen an die beiden deutschen Diktaturen. Zum anderen präsentiert sich der Bund in seiner Hauptstadt auch kulturell – und hier vor allem mit zeitgenössischer Kunst; sei es über den Hauptstadtkulturfonds oder über Einrichtungen wie den Hamburger Bahnhof. Natürlich ist ein stärkeres Engagement des Bundes in seiner Hauptstadt für Berlin immer wünschenswert. Aber zurzeit wären wir schon froh, wenn der Bund gegebene Zusagen und Termine einhält und diese nicht, wie beim Humboldt-Forum, symbolischen Sparbeschlüssen opfert.

Während für den Berliner Industriesektor erst vor kurzem ein „Masterplan“ zur notwendigen Stärkung dieses Bereiches verabschiedet wurde, macht Berlin mit Kultur große Umsätze. Das zeigt einmal mehr, dass der kulturelle Dienstleistungssektor die traditionelle Industrie als wichtigsten Standortfaktor abgelöst hat. Wird dies Auswirkungen auf die konkrete Vermarktung der Stadt haben?

Das hat schon seit einigen Jahren sehr konkrete Auswirkungen auf die Vermarktung Berlins. Berlin gilt heute weltweit als „Rom der Zeitgeschichte“ und als „Mekka der zeitgenössischen Kunst“. Künstler und Kreative zieht es aus aller Welt in unsere Stadt. Nicht nur weil es sich hier relativ preiswert leben und arbeiten lässt, sondern weil wir ein kreatives Umfeld und Image aufgebaut haben. Und natürlich vermarkten wir das auch.

Mit der Ausstellung „Create Berlin goes London“, die Sie als Schirmherr begleiten, wurde zum ersten Mal Berliner Kunst und Kultur in eine andere europäische Metropole exportiert. Haben Sie weitere Formate dieser Art geplant?

Es ist nicht das erste Mal. Auch bei den meisten anderen Auftritten im Ausland, die unsere Hauptstadtkampagne be Berlin begleiten, gab es einen Kulturschwerpunkt. 2009 zum Beispiel in New York, Kopenhagen und Istanbul. So wird es auch bleiben. Berlin präsentiert sich weltweit als eine Metropole, in der Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur einander begegnen und die ihre positive Spannung auch aus diesen Begegnungen zieht. Das wollen wir nach außen zeigen. Und die Resonanz ist rundum positiv. Berlin hat eine neue Faszination entwickelt, die wir bei den Auslandsauftritten auch rüberbringen.

Schon seit längerer Zeit besteht die Debatte über eine Kunsthalle in Berlin. Die Initiative „Berliner Kunsthalle“ fordert eine von der Stadt getragene Variante im Blumengroßmarkt im Stadtteil Berlin-Kreuzberg. Allerdings ist zurzeit noch kein solches, von der Stadt getragenes Projekt entstanden. Wir sprachen bereits darüber, dass Berlin im letzten Jahr beachtliche Umsätze durch die Kultur generieren konnte. Sollte das Land Berlin nicht gerade aus diesem Grund in ein derartiges Projekt investieren?

Ja, Berlin braucht wieder eine Kunsthalle. Unbedingt. Allerdings sollte eine solche Kunsthalle eine dezidiert internationale Ausrichtung haben. Und sie braucht ein Umfeld, das durch die Präsentation zeitgenössischer Kunst geprägt ist. Deshalb wäre mein favorisierter Standort der Humboldt-Hafen mit seiner Nähe zum Hamburger Hafen und der Heidestraße.

In Hamburg entsteht trotz steigender Kosten die Elbphilharmonie. Das Konzerthaus soll zukünftig ein Markenzeichen der Stadt darstellen und Kulturtouristen aus aller Welt anziehen. Die Bundesregierung will den Bau des Humboldt- Forums in Berlin hingegen verschieben. Welches Markenzeichen wird Berlin der Hansestadt entgegensetzen?

Das Humboldt-Forum, in der nach langer Diskussion vom Bundestag beschlossenen Form, ist das größte kulturpolitische Projekt der Bundesrepublik in ihrer Hauptstadt. Die außereuropäischen Sammlungen im Herzen der Stadt und auf Augenhöhe mit der gegenüberliegenden europäischen Kunst und Kultur zu präsentieren, halte ich für ein richtiges und wichtiges (kultur-)politisches Signal. Berlin steht zum Humboldt- Forum und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich an getroffene Beschlüsse und Vereinbarungen hält. Das gesamte Projekt als Feigenblatt für unsoziale Sparbeschlüsse zu gefährden, ist geradezu abenteuerlich.